ERP-Projekt: Anforderungsprofil von Key-Usern

Key-User:innen und deren Anforderungsprofil

Autor:

Ing. Philipp Leister BSc MSc MSc, Dynacast Österreich GmbH
Ing. Mag. Dr. Christoph Weiss, SIS Consulting GmbH

 

Key-User spielen eine zentrale Rolle in ERP-Projekten, indem sie als Schnittstelle zwischen Fachabteilungen und externen Partnern fungieren. Ihre umfassenden konzeptionellen und sozialen Fähigkeiten sind entscheidend für die erfolgreiche Implementierung des ERP-Systems sowie die langfristige Sicherstellung des Wissenstransfers und der Prozessoptimierung.

Die Implementierung von Enterprise Resource Planning (ERP)-Systemen stellt für viele Unternehmen eine komplexe und strategisch bedeutsame Herausforderung dar. Die Einführung solcher Systeme erfordert nicht nur die Anpassung der bestehenden Systemlandschaft, sondern auch eine tiefgreifende Transformation der Geschäftsprozesse und Organisation. In diesem Zusammenhang spielen Key-User:innen als Vermittler eine zentrale Rolle. Key-User:innen fungieren als Bindeglieder zwischen den operativen Bedürfnissen des Unternehmens und den technischen oder systemischen Rahmenbedingungen, die durch den ERP-Implementierungspartner gestellt werden. Ihre Aufgabe liegt darin, dass sie als Schnittstelle zwischen den beiden Parteien und innerhalb des eigenen Unternehmens agieren. Durch die Integration der Key-User:innen in das ERP-Projekt, kann der Informationsflusses zwischen den beteiligten Projektpartnern sichergestellt werden, was einen wichtigen Erfolgsfaktor für ERP-Projekte darstellt [1], [2].

Key-User:innen sollten schon bei der Auswahl des ERP-Anbieters in den Prozess eingebunden werden, daher stellt sich meist in einer frühen Phase des ERP-Projektes die Frage nach den geeigneten Personen [3]. Da das vorliegende ERP-Booklet sowohl Anwendende als auch Anbieter adressiert, soll dieser Beitrag den Key-User:innen als zentrale Schnittstelle zwischen beiden Seiten näher beleuchten. Hierzu werden nachfolgend Fragen, welche sich ERP-Projektentscheider:innen meist im Zusammenhang mit der Key-User:innen-Auswahl stellen, mit unterschiedlichen Experten aus der Wissenschaft und Praxis diskutiert und deren Einblicke in die Thematik wiedergegeben. Ziel dieser Diskussion ist es, praxisrelevante Einblicke zu gewinnen und die Rolle der Key-User:innen näher zu beleuchten.

 

Welche Hauptverantwortlichkeiten haben Key-User:innen in einem ERP-Projekt?

Die Hauptverantwortlichkeiten von Key-Usern:innen in einem ERP-Projekt umfassen die Unterstützung bei der Anforderungsanalyse, das Testen und Validieren der Systemfunktionalitäten, die Schulung der Endanwender:innen sowie die kontinuierliche Verbesserung und Anpassung der Prozesse. Sie fungieren als Bindeglied zwischen der IT-Abteilung und den Fachabteilungen, bringen Fachwissen ein und sorgen für eine Umsetzung der Projektziele innerhalb ihrer Fachabteilungen.

„Ein ERP-Projekt ist kein technisches Projekt, sondern ein Change Projekt!“
Prof.(FH) DI Dr. Christian Büll, Departmentleiter Department Informationstechnologie, Hochschule Burgenland GmbH

Die Hauptaufgaben von Key-User:innen lassen sich folgend zusammenfassen:

  • Anforderungsmanagement und Feedback
  • Key-User:innen sammeln und bringen Verbesserungsvorschläge sowie neue Ideen ein. Sie geben Rückmeldungen zu Konzepten und deren Umsetzung, insbesondere in der Zusammenarbeit mit anderen Key-Usern:innen und dem Projektteam.
  • Botschafter und Multiplikatoren
  • Key-User:innen sind für die aktive Kommunikation von Projektinformationen und Fortschritten in ihrem Fachbereich verantwortlich. Sie fördern die Akzeptanz und Unterstützung des Projekts im gesamten Unternehmen.
  • Fachbereichsvertretung
  • Key-User:innen repräsentieren die Interessen und Anforderungen ihres Fachbereichs im Projekt. Sie stellen sicher, dass die spezifischen Prozesse des Fachbereichs korrekt im System abgebildet und, wenn nötig, optimiert werden.
  • Testing und Qualitätssicherung
  • Key-User:innen wirken bei der Planung und Durchführung von Tests, wie Funktionstests und Usability-Tests, mit. Sie unterstützen bei der Überprüfung, ob die implementierten Lösungen den funktionellen Anforderungen entsprechen.
  • Schulung und Wissensvermittlung
  • Die Key-User:innen beteiligen sich an der Entwicklung von Schulungsunterlagen und führen Schulungen für Endanwender:innen durch, um diese in die Nutzung des neuen Systems und der neuen Prozesse zu vermitteln.

 

Wie wichtig sind die Key-User:innen für den Projekterfolg von ERP-Projekten?

Key-User:innen werden für den Erfolg von ERP-Projekten als essenziell angesehen, da sie tiefgehendes Fachwissen einbringen und als Bindeglied zwischen Fachabteilungen und ERP-Implementierungspartner fungieren. Ihre Aufgaben in der Kommunikation, Schulung und im Change-Management beeinflussen maßgeblich die Akzeptanz und erfolgreiche Implementierung des ERP-Systems. Engagierte Key-User:innen können entscheidend dazu beitragen, dass das Projekt reibungslos verläuft und die neuen Prozesse effektiv umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Projektorganisation die Key-User:innen dabei unterstützt und gemeinsam mit dem Rest des Projektteams agiert. Dazu muss seitens Unternehmensführung der Rahmen geschaffen werden, damit die Key-User:innen an dem ERP-Projekt arbeiten können.

 

Wie identifiziert man Key-User:innen unter den Mitarbeiter:innen?

Die Identifizierung von Key-Usern:innen aus dem Kreis der Mitarbeiter:innen gestaltet sich meist als Herausforderung für das Unternehmen, da sowohl fachliche als auch soziale Kompetenzen berücksichtigt werden müssen. Der Ausgangspunkt ist die Analyse der vorhandenen Expertise und die Fähigkeit der Beschäftigten komplexe Prozesse zu verstehen und zu vermitteln. Dabei gilt es die Mitarbeiter:innen ausfindig zu machen, welche über ein umfassendes Verständnis der Geschäftsprozesse verfügen und die Schnittstellen zu anderen Bereichen des Unternehmens kennen. Dabei sollten sie in der Lage sein, diese Prozesse nicht nur zu verstehen, sondern auch kritisch zu hinterfragen und Verbesserungspotenziale identifizieren zu können.

„Key-User:innen müssen aufgrund der sehr hohen Anforderungen an sie Wunderwuzi sein und meistens trennt sich da die Spreu vom Weizen“
Dipl.-BW. Helmut Reich, Managing Director, proALPHA Software Austria GmbH

Neben den fachlichen Qualifikationen spielen soziale Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Key-User:innen sollten über gute Kommunikationsfähigkeiten verfügen, um als Vermittler zwischen dem ERP- Implementierungspartner und den Endanwendern:innen zu fungieren. Diese Rolle erfordert ein hohes Maß an Empathie und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären. Darüber hinaus müssen Key-User:innen konfliktfähig sein und ein gewisses Durchsetzungsvermögen mitbringen, da sie sowohl die Interessen ihres Fachbereichs vertreten als auch die unternehmensweiten Ziele berücksichtigen

 

Welche Schulungsstrategien sind sinnvoll, um Key-User:innen erfolgreich für ihre Aufgaben in ERP-Projekten vorzubereiten?

In einer quantitativen online Umfrage im Jahr 2024 wurden die, in Abbildung 1 dargestellten, Anforderungen an die Fähigkeiten von Key-Usern:innen erhoben. Das Vorhandensein von sozialen Fähigkeiten, dicht gefolgt von konzeptionellen Fähigkeiten wurde bei Key-Usern:innen als am wichtigsten bewertet. Die hohe Bewertung von Teamfähigkeit sowie Trainings- und Schulungskompetenz verdeutlicht die Anforderungen an Key-User:innen, abteilungsübergreifend zu arbeiten und den Wissenstransfer zwischen den Bereichen sicherzustellen. Die Verantwortung der Key-User:innen für die Transformation der Geschäftsprozesse und die Umsetzung operativer Anforderungen im ERP-System spiegelt sich in den geforderten Kompetenzen in den Bereichen Geschäftsprozessmanagement, Lösungsdesign und Requirements-Engineering wider. Bei den technischen Fähigkeiten wurden lediglich das Datenmigrationsmanagement sowie das Qualitäts- und Testmanagement als besonders relevant eingestuft. Diese Bewertung reflektiert die zentrale Rolle der Key-User:innen bei der Übernahme von Altdaten und dem Testen funktionaler Anforderungen im ERP-System.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Anforderungen an die sozialen und konzeptionellen Fähigkeiten von Key-User:innen überwiegen, da dieser als Bindeglied innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, die Geschäftsprozesse im ERP-System abzubilden.

Abbildung 1: Anforderungen an die Fähigkeiten des Key-Users [4]

Durch dieses breitgefächerte Anforderungsprofil an die Fähigkeiten der Key-User:innen gibt es keine 100%ige allgemein anwendbare Schulungsstrategie. Daher ist es ratsam diese basierend auf den Fähigkeitsprofilen der Mitarbeiter:innen zu entwickeln, um so deren individuelle Weiterentwicklung zu fördern. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf den ERP-System-spezifischen Fähigkeiten liegen, sondern auch darauf das die sozialen, konzeptionellen und technischen Fähigkeiten der Key-User:innen weiterentwickelt werden.

„Es gibt keine pauschale Schulungsstrategie, sondern diese ist stark von den Key-Usern:innen und deren bereits gesammelten Erfahrungen abhängig.“
Mag. Johannes Keckeis, Senior Consultant, SIS Consulting GmbH

Die ERP-System-spezifischen Schulungen der Key-User:innen im ERP-System soll dazu dienen, damit sie nicht nur die technischen Abläufe verstehen, sondern auch in der Lage sind, die spezifischen Anforderungen ihres Fachbereichs im System abzubilden. Ergänzend ist es sinnvoll, methodische Schulungen im Bereich des Projektmanagements, Change-Managements, der Prozessmodellierung oder des Requirements Engineering zu fördern.

 

Wie können die sozialen Soft-Skills von Key-Usern:innen gefördert werden?

Die Entwicklung der sozialen Fähigkeiten ist oft komplexer als die Vermittlung von konzeptionellen oder technischen Fähigkeiten, da diese höhere persönliche und kommunikative Kompetenzen erfordern. Daher sollten die Key-User:innen über ein gewisses Maß an sozialer Kernkompetenz verfügen, welches durch Schulungen für die, in einem ERP-Projekt nötigen, Fähigkeiten ergänzt werden können.

Zunächst ist es wesentlich, Key-User:innen in den Bereichen Kommunikation und Konfliktmanagement zu schulen. Da diese Mitarbeiter:innen häufig als Schnittstelle zwischen verschiedenen Abteilungen und dem Projektteam agieren, sind starke kommunikative Fähigkeiten und die Fähigkeit zur konstruktiven Konfliktlösung unerlässlich. Schulungen, die diese Fähigkeiten fördern, helfen Key-Usern:innen dabei, effektiver zu kommunizieren und Herausforderungen im Umgang mit verschiedenen Stakeholdern erfolgreich zu bewältigen. Zusätzlich sollte auf die Entwicklung grundlegender Führungskompetenzen geachtet werden. Key-User:innen übernehmen oft eine Rolle, die Führungsverantwortung beinhaltet, weshalb sie lernen sollten, wie sie ihre Teammitglieder unterstützen und motivieren können. Schulungen in Führungstechniken und -methoden sind hier von großer Bedeutung, um die Fähigkeit zur effektiven Leitung und Unterstützung von Projektteams zu stärken.

„Der soziale Faktor darf in ERP-Projekten nicht außen vorgelassen werden, daher ist es auch wichtig Spaß bei der Arbeit zuzulassen und zu fördern.“
Cornelia Winter BA MSc, Business Consultant, Wien Energie GmbH

Die dabei erlernten Fähigkeiten können in praktischen Übungen, wie bspw. Rollenspiele, innerhalb des Projektteams geübt werden. Diese Methode ermöglicht Key-Usern:innen, ihre Empathie und ihre Fähigkeit zur effektiven Kommunikation, in einer sicheren Umgebung zu üben und weiterzuentwickeln.

 

Wie sehen die Aufgaben der Key-User:innen nach dem Ende des ERP-Projektes aus?

Nach dem Go-Live bei einem ERP-Projekt sollten Key-User:innen weiterhin im Team bleiben, um das ERP-System langfristig zu betreiben. Eine ihrer Hauptaufgaben ist es, neue und bestehende Anwender:innen zu schulen und ihnen bei Fragen oder Problemen zu helfen. Sie sind die erste Anlaufstelle, wenn Anwender:innen Unterstützung benötigen. Zudem arbeiten Key-User:innen im First-Level-Support, wo sie funktionale Fragen klären, bei der Lösung von Anwendungsproblemen unterstützen oder Probleme an interne Serviceabteilungen beziehungsweise den Implementierungspartner weitereskalieren. Dadurch sind Key-User:innen wichtige Ansprechpartner im täglichen Betrieb des ERP-Systems.

„Kein Unternehmen steht still und Anforderungen können und werden sich auch nach der ERP-Einführung ändern und weiterentwickeln“
Ing. Christopher Piribauer BSc MSc, Group Lead, EBG MedAustron GmbH

Zusätzlich spielen Key-User:innen eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung des ERP-Systems. Sie sorgen dafür, dass das System ständig an die sich verändernden Geschäftsprozesse und Anforderungen angepasst wird. Das umfasst die Identifikation von Verbesserungsmöglichkeiten und die regelmäßige Überprüfung und Optimierung bestehender Abläufe. Key-User:innen sprechen mit den Beteiligten, darüber hinaus bewerten sie neue Anforderungen und Änderungswünsche und entscheiden, wie diese umgesetzt werden sollen. Um diese Aufgaben erfolgreich zu erfüllen, ist es wichtig, dass Key-User:innen sich kontinuierlich weiterbilden und über aktuelle Systementwicklungen informiert bleiben.

 

Summary

Dieser Artikel vereint die Ergebnisse einer Masterarbeit mit dem Fachwissen von Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis, sowie Berater:innen, die über langjährige Erfahrungen im ERP-Umfeld verfügen, um die zentrale Rolle von Key-User:innen in ERP-Projekten zu beleuchten. Dabei wird untersucht, nach welchen sozialen, konzeptionellen und technischen Fähigkeiten bei der Auswahl der Key-User:innen unter den Mitarbeiter:innen gesucht werden sollte. Teamfähigkeit sowie Schulungs- und Trainingskompetenz sind hierbei besonders wichtig, um abteilungsübergreifendes Arbeiten zu ermöglichen und Wissen effektiv zu vermitteln. Auch technische Fähigkeiten wie Datenmigration und Testmanagement spielen eine Rolle, jedoch überwiegen die sozialen und konzeptionellen Qualitäten, da Key-User:innen die Geschäftsprozesse im ERP-System abbilden sollen. Auf Grundlage des beschriebenen Anforderungsprofils wird erläutert, wie die gewünschten Fähigkeiten gezielt gefördert werden können. Die Aus- und Weiterbildung der Key-User:innen soll sie optimal auf ihre Aufgaben vorbereiten und so das ERP-Projekt effektiv unterstützen.

 

Literatur

[1]          C. Barth und S. Koch, „Critical success factors in ERP upgrade projects“, Ind. Manag. Data Syst., Bd. 119, Nr. 3, S. 656–675, Apr. 2019, doi: 10.1108/IMDS-01-2018-0016.

[2]          C. Weiss, Vorgehensmodell zur Auswahl von Enterprise Systems (Eine strukturierte Vorgehensmodell-Entwicklung durch den Einsatz des Design-Scines-Research-Ansatzes), 1. Aufl. Wien: ADV, 2023.

[3]          N. Obwegeser, P. Danielsen, K. Hansen, M. Helt, und L. Nielsen, „Selection and training of super-users for ERP implementation projects“, J. Inf. Technol. Case Appl. Res., Bd. 21, Juni 2019, doi: 10.1080/15228053.2019.1631606.

[4]          P. Leister, „Fähigkeiten der Akteure bei der Einführung von Enterprise Resource Planning Systemen“, Fachhochschule Burgenland, 2024.

Dieser Fachartikel wurde im ERP Booklet 2025 veröffentlicht.

ERP Booklet 2025
Autor:innen: Johannes Keckeis, Christoph Weiss, Elisabeth Weiss, Lea Ebner
Herausgeber: SIS Consulting GmbH, Sistrans
Verlag: ADV Handelsgesellschaft m.b.H., Wien
Erscheinungstermin: November 2024
Taschenbuch, Softcover, 148 x 210 mm
144 Seiten, Farbe
ISBN: 978-3-901198-38-0
www.erp-booklet.com

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